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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 08.04.2004
Aktenzeichen: 1Z BR 12/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 2084
Auslegung eines Testaments, in dem die Erblasserin verfügt, dass ihre Verwandten enterbt sind, eine dritte Person den Nachlass "regeln" soll, über ihr Vermögen verfügen kann und den Auftrag hat, die Eigentumswohnung zu veräußern und von diesem Verkaufserlös und den Bankguthaben einen Notarztwagen zu kaufen und dem Roten Kreuz zur Verfügung zu stellen.
Gründe:

I.

Die im Alter von 76 Jahren verstorbene Erblasserin war verwitwet und kinderlos. Der Beteiligte zu 1 ist Sparkassenfilialleiter und hatte die Erblasserin verschiedentlich beraten. Der Beteiligte zu 2 ist ein Vetter der Erblasserin.

Am 17.5.1993 gab die Erblasserin persönlich ein handschriftliches Testament vom 16.5.1993 in amtliche Verwahrung, das im Wesentlichen folgenden Wortlaut hat:

Ich bestimme hiermit, dass meine bisher verfassten Testamente als aufgehoben gelten sollen. Insbesondere verfüge ich, dass meine Verwandten auch in Oberschlesien insbesondere auch mein Vetter (Beteiligter zu 2) und seine Ehefrau enterbt sind.

Mein Wille ist, dass N ... (Beteiligter zu 1) meinen Nachlass regeln soll.

Er kann nach meinem Ableben über mein Vermögen verfügen und mein Schliessfach bei der Sparkasse öffnen.

Insbesondere erteile ich Ihm hiermit den Auftrag, meine Eigentumswohnung zu veräussern, von diesem Verkaufserlös und von meinen Bankguthaben einschliesslich des Schliessfachinhaltes einen Notarztwagen zu kaufen, diesen mit einem Schriftzug zu versehen, dass es sich um einen von mir gespendeten Wagen handelt und diesen dann dem Bayer. Roten Kreuz zur Verfügung stellt.

Er kann die in der Wohnung befindlichen Gegenstände als sein Eigentum behalten oder nach seinem Belieben verfahren.

Sofern Steuern irgendwelcher Art zu bezahlen sind, kann er diese aus meinem Guthaben begleichen

Meine Verwandten haben kein Recht, Auskunft oder einen Rechenschaftsbericht zu verlangen.

(Ort, Datum, Unterschrift)

Ein weiteres, inhaltlich gleich lautendes Testament vom gleichen Datum 16.5.1993, ebenfalls handgeschrieben und unterschrieben, hat der Beteiligte zu 1, dem vom Nachlassgericht ein Schlüssel zur Wohnung der Erblasserin ausgehändigt wurde, nach seinen Angaben in der Wohnung der Erblasserin gefunden und beim Nachlassgericht abgeliefert. Er hat einen Erbschein beantragt, der ihn als Alleinerben aufgrund des Testaments vom 16.5.1993 ausweisen soll. Nach seiner Auffassung ist er nicht als Testamentsvollstrecker, sondern als Erbe eingesetzt; einen entsprechenden Willen habe die Erblasserin ihm gegenüber auch zum Ausdruck gebracht, als er im Mai 2001 anlässlich einer bevorstehenden Operation an ihr Krankenbett gerufen worden sei.

Der Beteiligte zu 2 hat zunächst angegeben, dass die Unterschrift unter dem Testament vom 16.5.1993 von der Erblasserin stamme, dies aber später angezweifelt und die Einholung eines graphologischen Gutachtens sowie die Anordnung der Nachlasspflegschaft beantragt.

Mit Beschluss vom 2.12.2002 ordnete das Nachlassgericht Nachlasspflegschaft an und bestellte eine Rechtsanwältin zur Nachlasspflegerin. Diese stellte den Nachlass wie folgt fest: Spar- und Girokonten in Höhe von zusammen 42.520 EURO; die von der Erblasserin bewohnte Eigentumswohnung (61 m²); Hausrat und Mobiliar sowie weitere Gegenstände von fraglichem Wert in der Wohnung, insbesondere drei Heiligenfiguren; Sparbuch über 240.347 DM, das im Schließfach vorgefunden wurde.

Das Amtsgericht ordnete zunächst die Einholung eines Schriftgutachtens an, nahm aber nach Richterwechsel davon Abstand. Mit Beschluss vom 28.4.2003 wies es den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1 zurück. Es legt das Testament, an dessen Echtheit es keinen Zweifel hegt, dahin aus, dass das Bayerische Rote Kreuz als Alleinerbe eingesetzt ist, während der Beteiligte zu 1 nur die Befugnisse eines Testamentsvollstreckers erhalten sollte. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 1 wies das Landgericht nach Anhörung des Beschwerdeführers und Einvernahme seiner Ehefrau mit Beschluss vom 18.12.2003 zurück. Mit der weiteren Beschwerde verfolgt der Beteiligte zu 1 seinen Antrag auf Alleinerbschein weiter.

II.

Die zulässige weitere Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt: Eine ausdrückliche Erbeinsetzung des Beteiligten zu 1 liege nicht vor; das Testament sei daher auszulegen. Gegen eine Erbeinsetzung des Beteiligten zu 1 spreche, dass die Erblasserin keine wörtliche Erbeinsetzung vorgenommen habe, obwohl ihr die Terminologie bekannt gewesen sei, wie die ausdrückliche Enterbung ihrer Verwandten zeige. Der Beteiligte zu 1 solle den Nachlass nur "regeln" und nicht "bekommen" oder "erhalten" oder Ähnliches. Die Erblasserin habe bestimmt, dass der wesentliche Teil des Nachlasses, nämlich die Eigentumswohnung und die Bankguthaben, zur Beschaffung eines Notarztwagens verwendet werden solle. Darüber hinaus habe die Erblasserin ausdrücklich geregelt, dass der Beteiligte zu 1 nur einen kleinen Teil des Nachlasses - die in der Wohnung befindlichen Gegenstände, die nach der Feststellung der Nachlasspflegerin überwiegend wertlos sind - als sein Eigentum behalten könne; nur dieser Teil solle von der Mittelbeschaffung für den Notarztwagen ausgenommen sein. Von Bedeutung sei auch die von der Nachlasspflegerin berichtete Äußerung einer unbeteiligten Frau, die Erblasserin habe gesagt, dass ihre Sachen "weder eine Sie noch ein Er, sondern ein Es" bekomme.

Demgegenüber seien die vom Beschwerdeführer für eine Erbeinsetzung angeführten Umstände ohne ausschlaggebende Bedeutung. Zwar habe die Erblasserin verfügt, dass er nach ihrem Ableben über ihr Vermögen verfügen und das Schließfach öffnen könne. Dabei sei aber nicht etwa von "freier" oder "eigener" Verfügung die Rede. Die Einräumung der Verfügungsmacht sei vielmehr im Zusammenhang mit dem folgenden Auftrag zu sehen, das Vermögen für den Notarztwagen zu verwenden; diese Verfügungsmacht sei für einen Testamentsvollstrecker typisch. Im Übrigen sei der Vortrag des Beschwerdeführers über ein im Jahr 2001 mit der Erblasserin geführtes Gespräch, aus dem deutlich geworden sei, dass er Erbe werden solle, zu vage. Auch lasse der Inhalt eines acht Jahre nach Testamentserrichtung geführten Gesprächs nur bedingt Rückschlüsse auf den Willen der Erblasserin zum Zeitpunkt des Testierens zu.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO). Seine Auslegung, dass der Beteiligte zu 1 nicht Erbe geworden ist, ist nicht zu beanstanden.

a) Zutreffend hat das Landgericht das Testament als auslegungsbedürftig angesehen; denn es enthält keine eindeutige Aussage, wer Erbe sein soll. Die Testamentsauslegung selbst ist Sache des Tatsachengerichts. Die Überprüfung in der Rechtsbeschwerdeinstanz ist auf Rechtsfehler beschränkt. Dabei kommt es insbesondere darauf an, ob die Auslegung der Tatsacheninstanz gegen gesetzliche Auslegungsregeln, allgemeine Denk- und Erfahrungsgrundsätze oder Verfahrensvorschriften verstößt, ob in Betracht kommende andere Auslegungsmöglichkeiten nicht in Erwägung gezogen wurden, ob ein wesentlicher Umstand übersehen wurde oder ob dem Testament ein Inhalt gegeben wurde, der dem Wortlaut nicht zu entnehmen ist und auch nicht auf verfahrensfehlerfrei getroffene Feststellungen anderer Anhaltspunkte für den im Testament zum Ausdruck gekommenen Erblasserwillen gestützt werden kann (BGHZ 121, 357/363; BayObLG FamRZ 2002, 269/270; MünchKommBGB/Leipold 3. Aufl. § 2084 Rn. 84).

b) Nach diesen Kriterien ist die Auslegung des Landgerichts nicht zu beanstanden. Sie verstößt insbesondere nicht, wie die weitere Beschwerde meint, gegen die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze. Das Landgericht hat den Sachvortrag des Beschwerdeführers auch nicht unzureichend gewürdigt.

aa) Das Landgericht konnte auf den Wortlaut des Testaments verweisen, der einerseits eine ausdrückliche Enterbung der Verwandten der Erblasserin, andererseits aber keine ausdrückliche Erbeinsetzung des Beschwerdeführers (oder einer anderen Person oder Institution) enthält. Das Landgericht hat nicht verkannt, wie der Rechtsbeschwerdeführer rügt, dass eine Erbeinsetzung auch auf andere Weise als durch die Bezeichnung als Erbe zur Ausdruck gebracht werden kann, sondern den genannten Umstand zu Recht als einen von mehreren Gesichtspunkten in die Auslegung einfließen lassen. Zutreffend stellt das Landgericht des Weiteren darauf ab, dass der Beschwerdeführer den Nachlass nur "regeln" und nicht "bekommen/erhalten" soll. Dasjenige, was die Erblasserin dem Beschwerdeführer ausdrücklich zugewendet hat, nämlich die Gegenstände in der Wohnung, machen dagegen nur einen kleinen Teil des Nachlasses aus. Unzutreffend rügt die weitere Beschwerde in diesem Zusammenhang, das Landgericht habe nur auf den Wortlaut "regeln" abgestellt und die nachfolgenden Festlegungen im Testament, dass der Beschwerdeführer über das Vermögen "verfügen" und das "Schließfach öffnen" könne, unberücksichtigt gelassen. Das Landgericht hat sich sehr wohl mit der dem Beschwerdeführer im Testament eingeräumten Verfügungsmacht auseinandergesetzt und diese zu dem im Testament erteilten Auftrag, die Eigentumswohnung und die Bankguthaben zur Beschaffung eines Notarztwagens zu verwenden, in Beziehung gesetzt. Diese Erwägungen lassen Rechtsfehler nicht erkennen. Auch im Übrigen greifen die Rügen der weiteren Beschwerde, die der Senat sämtlich geprüft hat, nicht durch. Die Würdigung des Landgerichts, dass die dem Beschwerdeführer im Testament zugedachte Stellung der eines Testamentsvollstreckers entspricht, aber nicht als Erbeinsetzung zu qualifizieren ist, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

bb) Ohne Erfolg bleibt die weitere Beschwerde auch, soweit sie die landgerichtliche Würdigung der außerhalb des Testaments gelegenen Umstände angreift. Zu Unrecht rügt die weitere Beschwerde, es sei nicht nachvollziehbar, dass die berichtete Äußerung der Erblasserin, ihre Sachen bekomme weder eine Sie noch ein Er, sondern ein Es, gegen eine Erbenstellung des Beschwerdeführers sprechen soll; denn der Beschwerdeführer ist ein "Er", während das ebenfalls bedachte Bayerische Rote Kreuz ein "Es" ist. Was die vom Beschwerdeführer und seiner Ehefrau vorgetragenen Äußerungen der Erblasserin anbelangt, die Jahre nach der Testamentserrichtung gefallen sein sollen und die der Beschwerdeführer dahin ausgefasst hat, dass er Erbe werde, so durfte das Landgericht diesen Äußerungen zu Recht kein maßgebliches Gewicht beimessen. Solche mündlichen Äußerungen eines Erblassers gegenüber möglichen Erben können vielfältige Gründe haben und lassen kaum je sichere Schlüsse auf den wahren Willen zu. Zutreffend ist auch die Erwägung des Landgerichts, dass Äußerungen, die Jahre nach der Testamentserrichtung fallen, schon wegen des Zeitablaufs nur bedingt Rückschlüsse auf den Willen zum Zeitpunkt des Testierens zulassen. Wie das Landgericht richtig ausführt, kann die Erblasserin ihren Willen nach Testamentserrichtung geändert haben; einen etwaigen geänderten Willen, nunmehr doch den Beschwerdeführer als Erben einzusetzen, hätte sie dann aber jedenfalls nicht formwirksam niedergelegt. Zu Unrecht rügt die weitere Beschwerde schließlich auch, dass es das Landgericht abgelehnt hat, den dem Beschwerdeführer gegebenen Hinweis der Erblasserin auf die in der Wohnung befindliche Testamentsabschrift als Indiz für eine Erbeinsetzung des Beschwerdeführers zu deuten. Es ist ebenso denkbar und nicht weniger nahe liegend, dass die Erblasserin den Beschwerdeführer als denjenigen, den sie als Testamentsvollstrecker vorgesehen hat - oder, wie es das Landgericht ausdrückt, als Person ihres Vertrauens -, vom Aufbewahrungsort der Testamentsabschrift unterrichten wollte.

3. Das Landgericht hatte nur über die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen die Ablehnung seines (auf das Testament von 1993 gestützten) Antrags auf Erteilung eines Alleinerbscheins zu befinden. Da das Testament von 1993 nach der rechtsfehlerfreien Auslegung des Landgerichts keine Erbeinsetzung des Antragstellers enthält, kommt es in diesem Verfahren auf die Echtheit des Testaments nicht an. Das Landgericht konnte diese Frage offen lassen; denn es brauchte die Erbrechtslage nicht abschließend zu klären. Auch der Senat trifft keine weitergehende Entscheidung. Er merkt jedoch an, dass die Auffassung beider Vorinstanzen, der Sachverhalt gebe keinen Anlass zu vernünftigen Zweifeln an der Echtheit des Testaments, nach Aktenlage keinen durchgreifenden Bedenken begegnet, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass die Erblasserin das Testament persönlich in amtliche Verwahrung gegeben hat. Im vorliegenden Verfahren braucht und kann nicht entschieden werden, ob die im Testament getroffene Verfügung zugunsten des Bayerischen Roten Kreuzes als Verschaffungsvermächtnis oder - wie das Amtsgericht angenommen hat - als Erbeinsetzung zu qualifizieren ist. Jedenfalls wird das Amtsgericht vor einer Entscheidung den als letzten gesetzlichen Erben in Betracht kommenden Fiskus (§ 1936 BGB) zu beteiligen haben.

4. Wer die Gerichtskosten zu tragen hat, ergibt sich unmittelbar aus der Kostenordnung; insoweit bedarf es keiner Entscheidung. Von einer Kostenerstattungsanordnung gemäß § 13a Abs. 1 FGG wird abgesehen. Das Interesse des Beteiligten zu 2 ging dahin, festzustellen, dass das Testament vom 16.5.1993 nicht von der Erblasserin stammt. Insoweit hat der Beteiligte zu 1 kein unbegründetes Rechtsmittel eingelegt.

5. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde bestimmt sich nach dem vom Beschwerdeführer verfolgten Interesse, Alleinerbe zu sein. Maßgeblich ist der Wert des Reinnachlasses, insbesondere unter Abzug der Kosten des Notarztwagens. Unter Berücksichtigung der von der Nachlasspflegerin festgestellten Vermögenswerte erscheint dem Senat ein Betrag von 100.000 EURO angemessen (§§ 30, 31 Abs. 1, § 131 Abs. 2 KostO). Die Wertfestsetzung des Landgerichts war entsprechend von Amts wegen zu ändern (§ 31 Abs. 1 Satz 2 KostO).



Ende der Entscheidung

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